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Mythen der Osteopathie: Ein guter Osteopath hat ganz lange Wartezeiten

Es gibt einige Mythen der Osteopathie, die sich halten wie zäher Kaugummi. Lange Wartezeiten in Osteopathiepraxen sind ein oft diskutiertes Problem in letzter Zeit und gehören aus meiner Sicht in den Mythenkatalog mit hinein. Denn ob die lange Wartezeit nun ein Qualitätskriterium oder vielleicht auch einfach ein Organisationsproblem der Praxis ist – darüber möchte ich heute ein paar Gedanken bewegen. Eins vorweg – es kann auf jeden Fall zu Wartezeiten in Praxen kommen, denn die hängen von verschiedenen Faktoren und nicht allein davon ab, ob ein Therapeut inhaltlich oder organisatorisch gut oder nicht gut ist.

Wie kommt es zu langen Wartezeiten in Osteopathiepraxen

Es liegt auf der Hand, dass die Verfügbarkeit von Osteopathieterminen regional, saisonal und auch tageszeitlich schwanken kann. Während die Versorgung in ländlichen Regionen in der Regel schwächer ist, erleben wir gerade in Großstädten eine Fülle von osteopathischen Praxen. Besonders in Großstädten, wo das Angebot recht breit aufgestellt ist, gibt es immer wieder auch die „gehypte“ Nachfrage einzelner Praxen, wie man sie vielleicht auch von Friseursalons oder Restaurants gewöhnt ist. Man geht halt dorthin – weil alle da hingehen oder weil die Praxis omnipräsent ist. Dann ist natürlich klar, dass sich die Terminauswahl ausdünnt und das gehört wohl zum üblichen Großstadt- oder Szene-Chi Chi.

Ein banaler Grund, warum es zu Wartezeiten kommen kann, sind Urlaub, Krankheit oder auch Weiterbildung des Osteopathen. Wie ich damit in meiner Praxis umgehe, berichte ich weiter unten.

Ein von Osteopathen und anderen Therapeuten gut beeinflussbarer Faktor ist die Organisation ihrer Praxis und damit das kritische Hinterfragen und Reflektieren der eigenen Terminvergabe. Das ist einer der zwei Punkte, der mich am meisten in dieser Thematik bewegen.

Der andere für mich wichtige Punkt ist:

Wie wird in der Osteopathie therapiert und warum ergeben sich daraus Wartezeiten?

In diesem Punkt muss ich vorsichtig sein, wie ich meine Sätze formuliere – um vor allem keinem Osteopathiekollegen zu nahe zu treten. Mein einziges Ziel mit diesem Artikel ist, Euch – uns alle Osteopathen immer wieder zum Nachdenken anzuregen, wie wir als Osteopathen uns als ernstzunehmende Dienstleister im Gesundheitssektor positionieren und vor allem: Wie wir selbst gesund bleiben, um unseren Job möglichst lange ausüben zu können.

Ich bin mir sicher, dass jeder Osteopath nach bestem Wissen und Gewissen therapiert. Doch nicht wenige von ihnen leiden unter der Flut von Patienten, mir ging es vor Jahren auch so. 10 – 12 Stunden Tage waren keine Seltenheit und Gott sei Dank gab mir ein Handbruch im Jahr 2014 die Gelegenheit, über viele Sachen in Ruhe nachzudenken. Es war die Zeit, in der gesetzliche Krankenkassen begannen, Osteopathie im recht umfangreichen Stil zu erstatten und ich mache gar kein Geheimniss daraus – es war ein wohliges Gefühl für mich, so derartig gebraucht zu werden. Leider aber viel mehr, als ich es letztendlich steuern konnte, denn der tägliche Rhythmus dieser vielen Fälle und Arbeitsstunden, ließen mir im Prinzip keine Minute Zeit um das alles zu hinterfragen. Ich war die gefühlte Maus im Laufrad – bis – ja bis mich letztendlich mein Drahteselchen an der schönen Isar auf den Waldboden und damit auf den Pfad der Besinnung schmiss.

Ich möchte gar nicht zu weit abschweifen – jedoch: In der dreimonatigen Auszeit habe ich sehr viel hinterfragt und auch beschlossen. Ich wusste insinktiv, dass es in dem Akkord nicht weitergehen kann – ergo: Ich musste es irgendwie hinbekommen, meine Therapie und meine Terminierung ökonomischer zu gestalten. Allein durch den recht langen Ausfall habe ich eines gut verstanden: Es geht auch ohne mich und im Zweifel springen Kollegen gerne ein und helfen.

Viele Jahre, fast zehn sind seit dem vergangen und ich führe nun eine Praxis, ohne Wartezeit.

Bin ich deswegen eine schlechte Osteopathin?

Wenn ich das glauben würde, dann müsste ich dringlichst daran arbeiten, fachlich-inhaltlich oder auch in anderer Hinsicht besser zu werden um diese Überzeugung zu korrigieren. Dem ist aber nicht so.

Vielmehr habe ich für mich Kriterien entwickelt, die es möglich machen, bestmöglich für Patienten da zu sein und trotzdem nicht in den Druck von ellenlangen Wartelisten zu geraten. Denn das ist nicht nur für Patienten, sondern auch für Therapeuten wahnsinnig nervig bis krankmachend.

Aber was sind das für Kriterien?

1. Jeder der behandelt werden möchte – darf sich jederzeit bei mir einen Termin machen. Dafür gibt es eine Onlineterminbuchung in der ich versuche auch immer zeitnah Termine anzubieten. Falls da maximal zeitnah, also heute und morgen nichts ist – gibt es immer die Möglichkeit, mich per sms oder e-mail zu kontaktieren und um einen Akuttermin zu bitten. Für diese halte ich immer etwas Zeit frei so gewährleiste ich auch kurzfristige und dringliche Weiterbehandlungen.

Meine Termine schalte ich in der Regel am Anfang des einen Monats für den nachfolgenden Monat frei. Also Anfang Mai setze ich einen Großteil der Termine für Juni rein. Je nach Laune und Zeit schalte ich auch Termine in weiterer Entfernung frei (die Erfahrung hat gezeigt, dass es einzelne Personen gibt, die auch Monate im Vorraus planen möchten, in Einzelfällen bin ich da gern dabei – wenn klar ist, dass diese Person zur begleitenden Osteopathie kommt und wir eben nicht mit wenigen Sitzungen alles lösen.

Das ist zum Beispiel bei einer posttraumatischen Belastungsstörung der Fall, bei der sich die begleitende Therapie oft jahrelang manchmal lebenslang hinzieht). Schöner Nebeneffekt der Onlineterminbuchung ist übrigens die viele Zeit – die ich nun nicht mehr brauche, um teils mühsehlig mit Patienten Termine zu suchen. Jeder der mit Einzelklienten Termine macht – weiß, dass es auch bei bestem Bemühen teils minutenlang dauern kann, bis wir uns letztendlich geeinigt haben – die pure Zeit verrint, die zusammengezogen schon wieder ein Zeitslot für einen Patient bietet.

2. Bei mir gibt es weder Bittstellertum noch „ich-muss-den-Fuß-in-der-Tür-behalten“ – erst seit ich begonnen habe, online Termine zu vergeben, habe ich gemerkt, dass sich viele Leute einen Termin machen nur um nicht „aus dem Raster zu fallen“ oder eben um „drin-zu-bleiben“. Puh – das war hart, als ich das verstanden habe. Ich arbeite in Potsdam und bin nicht sicher – ob das noch ein post-Ost-Phänomen ist.

Menschen machen sich einen Termin – um im Ernstfall immer einen Termin zu bekommen?

Das ist nicht gut – also ich für mich und meine Praxis finde es mittlerweile nicht mehr gut. Denn jeder, der eine Behandlung braucht – sollte die auch zeitnah bekommen (und nicht nur die, die einem jahrelang die Treue halten – wohlgemerkt: Treue halten ist total schön und ich habe total viele treue Patienten, die immer wieder gerne kommen – aber die Termine werden an die jeweilige Person und Situation angepasst vergeben.)

3. Bei mir entscheidet der Patient – wieviele Termine er haben oder wahrnehmen möchte. Hier zählt allein – ob sein Therapieziel für ihn erfüllt ist und ob das, was er sich von meiner Behandlung erhofft hat, eingetreten ist.

Nie – wirklich -NIE- bestimme ich, dass wir jetzt xy Sitzungen machen „müssen“, um das Problem zu lösen.

Ich hole mir immer den Patient ins Boot und sofern nach dem Ersttermin ein Folgetermin notwendig ist, möchte ich auf jeden Fall die Meinung des Patienten hören – wann er denkt, dass er den nächsten Impuls von mir braucht. Erstaunlicherweise decken wir uns in unserem Empfinden total oft… sagt also der Patient, er möchte gern nächste Woche gleich noch mal kommen – so bestand tatsächlich absolut hoher Behandlungsbedarf und auch ich war der Meinung, ein schnellerer Termin ist ratsam. Und dann machen wir eben einen recht schnellen Termin für die Folgewoche – bei dem Termin schauen wir dann genau auf diese Art wieder: Was braucht es nun? Reichen Eigenübungen? Braucht es weitere osteopathische Behandlung? Wenn ja – in welchem Abstand dieses Mal? Muss der Patient noch zu einer anderen Fachrichtung (Physio, Logo, Ergo, Psychotherapie etc.?)

In der Regel reichen auf diese Art 2-5 Behandlungen, um die Situation für den Patient deutlich zu verbessern. Danach ist wieder Platz für den nächsten Patient. Damit das klappt – gibt es aber noch einige weitere Punkte, die für mich absolut vordergründig sind.

4. Ich für mich habe den Anspruch, zu verstehen – warum das jeweilige Symptom beim Patient aufgetaucht ist. In der Osteopathie suchen wir nach der Ursache und versuchen dann, eine Lösung anzubieten. Ich für mich möchte in spätestens 1-3 Behandlungen sehen, dass der Organismus des Patienten auf unsere Bemühungen reagiert – andernfalls ist der Patient bei mir oder eben der Osteopathie nicht richtig.

Mittlerweile glaube ich, erlebt die Osteopathie eine „Physiotherapeutisierung“ – das heißt, Patient und Therapeut treffen sich, um eine Reihe von Maßnahmen abzuarbeiten um damit Symptome zu lindern. Das passiert aus meiner Sicht zum Beispiel, weil die Osteopathie im Rahmen von physiotherapeutischen Settings mit reingewurschtelt wird und sowohl Therapeut als auch Patient von der Klarheit abweichen, um was es eigentlich geht. Hier sind wir dann wieder beim Prinzip: „Abholmedizin“ – „Ich Patient – Du-Mich-Gesund-Machen“ – auf die Art kreiert man leider Dauerpatienten, da häufig symptomorientiert und nicht ursachenbasiert behandelt wird.

Ich könnte mir auch vorstellen, dass es der Weg des geringsten Widerstandes ist – einfach dem Wunsch des Patienten zu entsprechen und die besagte Maßnahmenspule zu bedienen, ohne zu hinterfragen, ob das noch Osteopathie ist, ob das die Ursache sichtbar macht oder wie oft der Patient kommen muss. In diesen Konstellationen schleichen sich Dauerbehandlungskonstellationen ein, diese aufzubrechen – ist nicht immer leicht.

5. Hier schließt sich also direkt das Prinzip der Eigenverantwortung an. Wenn wir Osteopathie machen, möchte ich, dass auch der Patient versteht, warum die Dinge bei ihm so sind, wie sie sind. Nur an verhärteten Stellen rumknubbeln löst zum Beispiel das Mobbingproblem nicht. Bleibt das Mobbingproblem bestehen – steht der Patient wahrscheinlich Woche für Woche mit Schmerzen auf der Matte. 10 dieser Patienten und der Plan ist mächtig voll und kreiert ein hausgemachtes Terminproblem.

Hier ist es doch viel wichtiger, ihn sanft dorthin zu geleiten – wo echte Lösung droht: Solch ein Patient darf zur Psychotherapie und gern parallel ab und an begleitend zur Osteopathie. Ins Prinzip der Eigenverantwortung fallen ganz viele Sachen – zum Beispiel auch, dass ein paar wirklich hilfreiche Bewegungen, Übungen oder Maßnahmen im Alltag etabliert werden – die Chronifizierung von Symptomen entgegen wirken. Ich als Osteopathin sehe es als meine Aufgabe an, dem Patient schnell Lösungsmöglichkeiten anzubieten – ist der Patient offen dafür, braucht er mit großer Wahrscheinlichkeit viel weniger osteopathische Sitzungen als er selbst von sich gedacht hätte.

Mache ich das nicht, muss ich mir als Therapeut darüber im Klaren sein, dass ich den Patient auf eine Art von mir abhängig mache. Denn aus seiner Sicht, bin ich augenscheinlich die Einzige die ihm helfen kann… doch das ist ein Trugschluß an den sich mein nächster Punkt anschließt…

6. Everybodys-Darling und die Hybris, alles und jeden heilen zu können und zu müssen. Ich für mich mag es, wenn dem Patient schnell geholfen ist. Bereits in der ersten Sitzung weiß ich, dank strukturierter und tiefgründiger Befragung und Beobachtung, ob ich demjenigen ein Stück weiterhelfen kann – wenn ich das nicht kann, zum Beispiel weil derjenige ein absolut überzeugt gesundheitsschädliches Leben führt oder meine fachliche Qualifikaton dieses Gebiet nicht umfasst – erfährt es der Patient natürlich direkt und sehr ehrlich in dieser ersten Sitzung.

7. Und nicht zuletzt: Wir als Osteopathen erleben einen Hype, in dem wir auf eine Art von außen hochgehalten werden. Augenscheinlich sollen wir so etwas wie Wunderheiler sein, die nahezu alles wissen und für jede Eventualität eine Lösung haben. Ich für mich habe fachliche Schwerpunkte entwickelt, in denen ich mich fachlich wohlfühle. Auch ich habe eine zeitlang versucht, allen und jedem gerecht zu werden – aber ich kann nicht gleichzeitig Experte für Trauma und noch für Männergesundheit und noch für Babys sein. Insofern ist es doch völlig legitim, vordergründig die Personen zu behandeln, die ins eigene Spektrum fallen und alle anderen an Kollegen weiterzuleiten. Automatisch wird einiges an Platz im Plan frei.

Und nun mein Wunsch: Bitte lasst uns diesen Mythos nicht weiterverbreiten – denn aus meiner Sicht ist er totaler Quatsch.

That´s it.

Das Thema hat mich schon sehr lange bewegt – ein ähnlich gelagerter Instagrambeitrag einer Kollegin hat mich letztendlich dazu inspiriert, ihn hier mal ein wenig genauer zu beleuchten.

Mich würde total interessieren, was Du zu dem Thema meinst. Schreibe es mir gern in die Kommentare und schau gern demnächst hier wieder rein, das nächste Thema ist bereits in den Startlöchern. Sei gespannt.

 

 

 

Autorin: Sandra Hintringer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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