osteopathisch-leben.de

Joggen aus osteopathischer Sicht – 6 Pro´s

Der Berlin-Marathon 2019 tobt 2 Sekunden am neuen Weltrekord vorbei. Konstanze Klosterhalfen lässt unseren Atem über die 5000 Meter Distanz in Doha stocken und Eliud Kipchoge rennt den Marathon unter 2 Stunden.

Deutschland, ja die ganze Welt ist im Lauffieber. Steigende Tendenz. Immer mehr Patienten schnüren die Turnschuh, bringen mir ihre Läufermedaillen voller Stolz aber auch leider ihre trainingsbedingten Symptome in die Praxis mit.

Grund genug für mich, diese Sportart mal aus osteopathischer Sicht zu beleuchten. Was taugt an dieser Sportart meinem kritischen osteopathischem Blick? Was gilt es zu beachten? Here we go …. Joggen aus osteopathischer Sicht ist ein etwas umfangreicherer Beitrag, denn – Jogging ist nicht gleich Jogging.

Grundsätzlich geht es in diesem Beitrag um die rennende Fortbewegung. Hierbei ist mir persönlich jetzt völlig schnuppe, ob das nun rennen, joggen oder laufen genannt wird. Einziges Kriterium – es gibt eine Sprung-/Abdruckphase und Landephase. Die es ja so in der Form beim normalen Gehen nicht gibt.

Die Läufergemeinschaft unterscheidet insgesamt 3 Laufstile, welche sowohl Nachteile als natürlich auch Vorteile in sich beherbergen:

  1. Vorfußläufer – landen auf dem Ballen, danach senkt sich der Fuß auf den Mittelfuß und bis zur Ferse und schon gleich kommt es über den Vorfuß wieder zum Abdruck für den nächsten Schritt. Vorteil ist hierbei, dass das Körpergewicht mit Kraft abgefedert wird. Nachteil – vor allem die Wadenmuskulatur, welche über die Achillessehnenverbindung an der Ferse befestigt ist, leistet Höchstarbeit und meldet sich bei manchen Läufern mit derber Überlasungsanzeige.
  2. Mittelfußläufer – ist eine Mischung aus beiden Laufstilen – mittlerweile auch populär geworden als sogenanntes Slow Jogging – dieses Video darüber hier ist zu schön und erinnert mich bei den vielen zustimmenden „hai“ „hai“ „hai“ Lauten an meinen Japan-Urlaub. Professor Tanaka, ein Japaner, hat das Slow Jogging entwickelt, beforscht und weiterverbreitet.
  3. Rückfußläufer – dieser Laufstil stellt sich instinktiv bei den meisten Hobbyläufern ein – der Fuß landet auf der Ferse und rollt dann wie beim Gehen nach vorn zum Vorfuß ab. Nachteil ist hierbei, das das Gewicht ungebremst auf der Ferse landet und sich die Aufprallkraft direkt in den Körper fortsetzt. Vorteil … man muss nicht lange Techniken einüben. Insinktiv rennt der Körper in diesem Stil.

Menschen tragen unterschiedlichste Motivationen in sich, warum sie die Schuhe schnüren und zum Laufen entweder raus oder auf´s Laufband gehen. Je nach Motivation entscheidet sich dann der Laufstil.

Während ambitionierte Wettkampfläufer sich oft auf den Vorfußlaufstil trainieren, sind die meisten Hobby- aber auch manche Langstreckenläufer völlig zufrieden mit dem Rückfußlaufstil oder auch Fersenlauf. Obgleich ich viele Läufer behandle – einen Mittelfußlaufstil, so entspannt der im Video ausschaut – hat bei mir noch niemand angegeben.

Im folgenden beziehe ich mich zunächst auf Freizeitjoggen bis hin zur Teilnahme an kleineren Wettkämpfen bei der allein der Spaß an der Freude zählt.

Was ist mit Marathonläufern?

Direkt ausgeklammert von meiner Betrachtung ist hier das Rennen eines Marathons auf eine bestimmte Zielzeit mit über 10km/h – diese Art von Rennen ist höchster Stress für den Körper, lässt die Hypophysen-Nebennierenachse und damit das ganze System so gar nicht mehr zur Entspannung kommen.

So sehr ich die Motivation, den Fleiß, die gute Laune der Läufer liebe. Hochambitioniertes und vor allem langfristiges Marathontraining kann ich aus diesem Grund aus osteopathischer Sicht absolut nicht empfehlen, denn sie hält unseren Körper in einer hohen gesundheitsschädlichen Aktivierung. Dann könnte man alternativ eigentlich auch gleich 16 Stunden im stressigen Büro arbeiten, das Flucht- und Kampfmuster, das heißt, die ständig hohe Anspannung erschöpft über kurz oder lang das Körpersystem.

„Wer für einen Marathon läuft sollte unbedingt die Einheiten von regenerativen Maßnahmen wie sanftes Yoga, Sauna, Badewanne, mal-gar-nichts-tun drastisch erhöhen.“

 

Unabhängig vom Laufstil hat Joggen viele positive Effekte:

1. Training vom Herz- Kreislauf-System (die Copenhagen City Heart Study belegt, dass die Sterblichkeit am geringsten ist, bei Läufern, die 2-3x die Woche sanft joggen, die Gesamtjoggingzeit von 2,4 Stunden wöchentlich soll dabei nicht überschritten werde. In der Osteopathie sind wir immer bestrebt, alle Körperbereiche zu einer guten Durchblutung zu führen … das passiert beim Laufen zum großen Teil von alleine.

2. Laufen ist ein umfangreiches und anspruchsvolles Muskeltraining. Im Idealfall wird dies durch zusätzliches spezielles Krafttraining optimiert. Starke Muskeln stabilisieren nicht nur die Wirbelsäule, sondern verhelfen in der Regel den Menschen zu viel mehr Selbstbewusstsein und damit psychicher Stärke.

3. Beim Laufen kommt es zum Ausgleich der Wirkungen von Stresshormonen wie zum Beispiel dem recht bekannten Adrenalin, um hier mal nur eines ein wenig auszuwalzen. In stressigen Situationen (und davon habe wir pro Tag alle eine Menge – ich denke da nur an Termindruck, Mobbing oder Verkehrslärm) gelangt Adrenalin ins Blut, wo es seine Wirkung entfaltet.

Eine Wirkung kennen vor allem viele Frauen – wenn die Aufregung steigt – werden die Finger oder Füße kalt. Das hat damit zu tun, dass das Adrenalin kleine Blutgefäße verengt und das im Körper vorhandene Blut ins Zentrum schiebt. Das heißt – zu den Organen und den großen Muskeln. Hiermit soll das Überleben gesichert werden. Lebenswichtige Organe durchbluten und damit in Funktion halten – und gleichzeitig kämpfen und flüchten können.

Eigentlich eine gute Idee vom Organismus – nur was, wenn wir zwar den Adrenalinauslösereiz durch eine stressige Situation erhalten – Adrenalin ausschütten … es aber nie zum Kämpfen kommt? Ziehen sich alle Nase lang unsere kleinen Blutgefäße zusammen, werden Hände und Füße nicht mehr richtig durchblutet. Nicht wirklich ideal, wenn das zum Dauerzustand wird. Könnte irgendwann weh tun, oder? Laufen simuliert also den „Kampf“ – der Körper entspannt sich, die Gefäße entspannen – Hände und Füße werden schön warm, da sie endlich wieder schön durchblutet sind.

Adrenalin erhöht unter anderem übrigens noch die Atemfrequenz (ihr kennt diese kurzatmigen Leute die vor lauter Luftschnapperei kaum sprechen können, hemmt die Darmfunktion… naaa ;-)  Freiwillige auch jetzt vor, wer leidet unter Verstopfung und hat dann alle paar Tage die wohlberühmte Sturmentladung auf´m Klo? Und achso – nicht alle Leute die weite Pupillen haben – haben Drogen genommen. Das körpereigene Adrenalin sorgt auch für Pupillenerweiterung – was ja auch schlüssig ist. Wenn ich den Feind in der Nähe wähne …. muss ich gut gucken können und reiße sprichwörtlich die Augen auf… all diese Reaktionen ziehen wiederum Folgeerscheinungen nach sich, wenn sie zum Dauerprogramm werden.

Joggen ist also eine hervorragende Möglichkeit – Kampf zu simulieren und sich physiologisch auszuarbeiten.

…und hier noch ein paar positive Effekte vom Joggen:

4. Weiterhin führt jede körperliche Beanspruchung – so auch Joggen zur verstärkten Benutzung der Atmung, dadurch kommt es zu einer besseren Ausdehnung im Zwerchfell, bessere Lungenbelüftung, und damit zu mehr Sauerstoff und Vitalität im Organismus. Ja – und auch damit sind wir in der Osteopathie eigentlich in jeder Sitzung beschäftigt – Atemdynamik verbessern.

Und? Hast Du schon ein wenig Lust bekommen, loszutoben?

joggen

5. Joggen trainiert das Immunsystem. Durch das Lauftraining wird das Immunsystem verstärkt dazu animiert, mehr und neue Abwehrzellen zu bilden.

6. Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist das hohe Gemeinschaftserleben durch viele Laufveranstaltungen – dadurch gibt es eine immens  hohe Motivation, klar – manchmal auch eine Art Verpflichtung, aber die meisten müssen irgenwann nicht mehr darüber nachdenken ob – oder ob sie nicht laufen. Die meisten denken nur darüber nach – wo sie entlang laufen :-) So soll es sein. Der Läufer erfährt eine psychische Stärkung, welche durch die verbesserte Eigenverantwortlichkeit entsteht.

„Genau aufgrund dieser positiven Effekte befürworte ich aus osteopathischer Sicht auf alle Fälle Joggen.“

Dennoch ist die Sportart nicht für jeden gut – es gibt leider auch Negativeffekte. Ohne Euch die Sportart absprechen zu wollen, sollte man sich immer bewusst darüber sein, was eine Sportart (und nicht nur das – was überhaupt unsere ganze Lebensweise) mit uns und unserem Körper macht.

Negative Effekte des Laufens:

(nur nochmals zur Sicherheit – ich möchte Euch das Laufen keinesfalls madig machen – es ist eine ganz tolle und hilfreiche Sportart … ein differenzierter Blick hilft uns allen – gesund zu bleiben)

1. Je nach Untergrund und Laufstil teils heftige Stöße und Stauchungen – ja, leider ist der Fersenlauf – der Laufstil der am meisten praktiziert wird, davon am meisten betroffen. Durch die Landung auf der Ferse überträgt sich der Stoß direkt in die darüber liegenden Gelenke. Wer noch beschwerdefrei ist – muss einfach schauen, wieviel davon gut tut. Wer bereits Gelenksprobleme in den Beinen hat, sollte einfach keinen Fersenlauf praktizieren. Dann vielleicht einfach mal den Mittelfußlauf ausprobieren oder Nordic Walking.

2. Bei mangelnder ökonomischer Atmung hat Laufen oft Verspannungen im Schultergürtel-, Nacken- und auch Brustkorbbereich zur Folge. Dehnt sich das Zwerchfell nicht physiologisch aus (z.B. weil es durch Stress einfach ein wenig verkrampft ist) … sucht sich der Organismus Ausweichatembewegungen und das ist zum Beispiel mit Hochziehen von den Schultern verbunden. Passiert dies wie beim Laufen viele tausend Male unter erhöhter Sauerstoffanforderung, bekommt die Schulter-Nackenmuskulatur mit relativ großer Wahrscheinlichkeit eine Überspannung.

3. Bei Vorerkrankungen wirken sich kleinste Defizite viel schneller negativ aus – das heißt ein alter gebrochener Zeh, ein assymetrisches Gangbild – jede noch so kleine Abweichung von der Physiologie taucht mit Folgeproblemen viel schneller auf, als wenn derjenige kein Langstreckenläuer wäre. Hier hilft es, sich durchaus mal osteopthisch durchchecken zu lassen um den Körper in die optimale Funktion zu bringen. (…nur für den Fall, dass Du das gern bei mir machen möchtest – hier kannst Du Dir einen Onlinetermin für Potsdam buchen)

4. einseitige Bewegung führen, sofern keine Parallelsportarten zum Ausgleich betrieben werden – schneller zum Verschleiß von Körperstrukturen – oft nimmt der Körper auch seine spezielle „Läuferform“ an. Krummer Rücken, vorgewölbte Schultern, Beugetendenz in den Hüften – es gibt da so einiges, was weitere Ungunsten nach sich zieht… hierbei gibt es aber keine Allgemeingültigkeit – hier muss man wirklich jeden einzelnen Läufer gezielt analysieren.

5. Ja – auch dieses Thema muss man einfach mal ansprechen. Bei manchen ist das Laufen eine Sucht – vielleicht eine versteckte Sucht, Läufersucht. Der Grad zwischen gesundheitsförderlich und selbstzerstörerisch ist hier verdammt schmal. Aber bleibt gütig mit Euch ;-) …ich finde Laufen besser als Alkohol oder andere Drogen.

6. Und noch einer …. manchmal bedient das Joggen auch den Weglaufmechanismus. Nur nicht still sein, nur nicht über sich nachdenken müssen – joggen als ständiger Motor. Es fehlt oft die Fähigkeit zur echten Entspannung. Hochmotiviert und besonders wortreich erklären diese Läufer/innen, wie gut das doch alles tut. Ein paar Jahre bestimmt – doch irgendwann ächzt einfach jede Materie.

7. Belastungsanfälligkeit der Achillessehne und hinteren Wadenmuskulatur beim Vorfußläufer sind häufiges Thema – da das Körpergewicht über lange Strecken beim Landen auf dem Ballen komplett durch die Fuß- und Wadenmuskulatur aufgefangen wird, kommt es recht häufig zu Reizzuständen

8. Unzureichende Haltemuskulatur und Verkürzungen erhöhen die Gelenksbelastung (in einer osteopathischen Testung wird auch der Zustand der Muskulatur in Bezug auf Kraft und Länge geprüft). Einfach nur joggen reicht leider nicht immer.

…so, dafür reicht es jetzt aber hier mit Contra-Faktoren.

Weil ich trotzdem pro Laufen stimme, hier nun noch mal mein kurzes osteopathisches Fazit:

Grundlegend ist Laufen, Joggen, Rennen eine total tolle und gesundheitsförderliche Sportart die ich absolut befürworten möchte.

2-3 Mal die Woche reicht absolut aus. Ich empfehle ein moderates Training, welches immer Spaß machen sollte und zu nichts verpflichtet. Je nach körperlicher Beschaffenheit, lohnt es sich, die verschiedenen Laufstile auszuprobieren. Der gelenkschonendste ist der Mittelfußlaufstil – das lockere Traben …. eine schöne Sache ….

…Also denn, sehen wir uns im Park? Hier kannst du lesen, wie es mir beim Berlin-Halbmarathon ging.

joggen
Schuhe schnüren und los!

 

 

 

 

 

 

 

 

Vielen Dank, dass Du auch heute bis hierhin gelesen hast – Deine Fragen, Wünsche und Anregungen zum Thema Joggen schreib´ mir doch gerne in die Kommentare.

Liebe Grüße und eine wundervolle Zeit bis zum nächsten Beitrag.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert